Loslassen

Ich laufe einen Feldweg entlang. Ich bin nicht allein.
Auf einmal schiebt sich wie selbstverständlich eine kleine, warme Kinderhand in meine. Wir laufen Hand in Hand. Wie die hundert Male davor. Ich denke mir nichts dabei.
Das ist Jahre her. Heute vermisse ich diese Kinderhand in meiner. Wie so vieles mehr, wenn Kinder noch klein sind. Los-lassen- ein Lebensthema- ein Lebensbegleiter.
Wir lassen Wohnungen, Häuser, Partner, Haustiere, Jobs, Städte los. Irgendwann unsere (Groß-)Eltern, vielleicht unsere Gesundheit….und fast jeden Tag ein Stück von unseren Kindern. Das kann wehtun und es kann traurig machen.
Dein Kind löst sich aus der Verschmelzung mit dir, lernt laufen und irgendwann Auto fahren. Du bist für es nicht mehr der Nabel seiner Welt.
Herausforderungen, die du heute vielleicht als anstrengend erlebst (in Schlaf begleiten, tragen, auf dem Schoß sitzen, trösten, spielen, streiten…) finden morgen schon nicht mehr statt. Unwiderruflich vorbei.
Sei dir dieser Endlichkeit bewusst. Ich weiß, dass du manchmal genervt und angestrengt bist und dass du den Feierabend herbei sehnst. Ich kenne das. Aber wenn du irgendwie kannst, sauge diese kostbaren Momente auf, genieße und konserviere sie. Und wenn der Schmerz dann kommt, dann kümmere dich gut um dich. Erfülle dir deine Bedürfnisse auf andere Art.
Aber warum gibt es so viel „los-lassen“ in unserem Leben? Ich glaube, damit wir üben können. Mit der Geburt beginnt dieser Prozess und begleitet uns durch alle Lebensphasen hindurch. Weil am Ende unseres Lebens ein letztes großes Loslassen auf uns wartet. Das Verlassen dieser Welt und das Betreten einer neuen Welt. Und nur wenn wir viel geübt haben, gelingt uns dieser Schritt vielleicht mit weniger Angst. Denn wir haben verstanden, dass jedes Loslassen ein Geschenk in sich birgt. Es heißt Freiheit.
Und so laufe ich heute denselben Feldweg entlang und greife beherzt nach der Hand meines Mannes und lächle.

Und was machst du mit deiner freien Hand?

Corinna