Kontaktperson

Wenn ein Kind zur Welt kommt, ist es darauf angewiesen angenommen zu werden. Physisch – sonst stirbt es. Von Herzen – sonst leidet seine Seele, sein Wesen. Wird das Kind in seinem Wesen nicht mit offenem Herzen angenommen, stirbt die Seele nicht, kann sich aber bis zur Unkenntlichkeit verändern und an seine Bindungspersonen anpassen, auf deren Zuwendung es so dringend angewiesen ist. Was ich damit meine und wozu das führen kann, beschreibe ich bald in einem anderen Beitrag. Zwei wunderbare Nachrichten vorneweg: ein gesunder Kern bleibt immer und Veränderung ist möglich. Jippie!

Das Leben ist kein immer glücklicher, leichter, linearer Weg. Manche Dinge laufen anders als wir sie gerne hätten, manche Dinge und Situationen sind schlimm, nicht veränderbar und kommen manchmal plötzlich und unvorhersehbar (Tod, Krankheiten, Beziehungsabbrüche, Trennungen). Wir Eltern können leider nicht verhindern, dass unsere Kinder Verletzungen erleben und unter Umständen mit solch schlimmen, schweren Situationen konfrontiert werden. Doch: je sicherer die Bindung zwischen uns und unseren Kindern ist und je größer, gesünder und stärker das Unterstützungsnetzwerk des Kindes trägt, und je selbstwirksamer es sich erfährt – umso leichter gelingt ihm der Umgang und die Bewältigung dieser schwierigen Situationen. Und wenn ein Kind aufwächst mit dem Wissen, dass es auch stärkeren Stürmen gewachsen sein wird, macht es sich vertrauensvoll auf den Weg und lebt sein Leben autonom und in ausbalancierten Beziehungen. Für eine sichere Bindung als Basis braucht es feinfühligen und auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmten, echten Kontakt zwischen uns Eltern und unseren Kindern. Damit wir unseren Kindern das ermöglichen können, ist es die Aufgabe von uns Eltern uns selbst so auf den Weg zu machen, dass wir echte Kontaktpersonen sein und unser Kind von Herzen annehmen können. So weit die Theorie.

Jetzt ganz praktisch ein paar Beispiele was es alltäglich bedeutet ein Kind von Herzen anzunehmen:

NEHME DEIN KIND WAHR UND AN WIE ES IST. Reagiere nicht auf das Bild in deinem Kopf von einem Wunschkind. Reagiere nicht auf das Bild eines fiktiven Zukunftsmenschen, voller Angst. Forme es nicht nach irgendjemandes Vorstellungen. Sehe dein Kind so wie es jetzt gerade vor dir steht. SO WIE ES IST. Laut, leise, schüchtern, wild, groß, klein, in der aktuellen Phase, wütend, weinend. Spüre den Unterschied zu dem wie du es vielleicht gerne hättest und betrauere das. Und erwarte nicht, dass sich dein Kind deinen Vorstellungen anpasst. Denn das wird/würde es tun. Für dich. Auf seine Kosten. Was braucht dein Kind gerade? Was brauchst du?

SEI PRÄSENT. Das heißt nicht, dass du immer 24 Stunden anwesend sein musst. Dein Kind braucht auch Zeit mit sich selbst und der Welt. So wie du. Aber wenn du da bist – sei ganz da. Mit dem Fokus und deiner ganzen Aufmerksamkeit bei und mit deinem Kind. Nicht gedanklich beim Arbeiten, mit der nächsten Steuererklärung oder dem Streit mit deinem Partner beschäftigt. Nicht mit einem Ohr am Telefon. Nicht lieber woanders. SEI GANZ DA. Nicht am Handy. Nicht beim TV. Nicht am Laptop. Spüre hin, wenn du mal was anderes brauchst, raus willst, Zeit brauchst für dich oder die Steuererklärung. Geh auf die Party, zur Wellness, zum studieren. Mach das. Organisier das. Du bist wichtig. Denn wenn du dein Leben so lebst, wie du es gern hast, bist du satt. Dann hast du was zu geben. Dann bist du ganz da, wenn du da bist.

SCHAU DEIN KIND AN. Mit wachen Augen. In seine Augen.

INTERESSIERE DICH. Tu nicht nur so, dein Kind spürt das sofort. Denk nicht du weißt schon alles. Du weißt soviel weniger als du denkst. Glaub nicht alles was du denkst. Vermutlich irrst du dich auch mit dem einen oder anderen Gedanken über dein Kind. Interessiere dich wirklich. Wie geht es deinem Kind? Was erlebt es gerade? Wie sieht es die Welt? Wie sieht es sich selbst? Wie sieht es dich?

HÖRE DEINEM KIND ZU. Egal wie unbedeutend es für dich sein mag – was dein Kind dir mitteilen will, ist für es eine große Sache. Nimm es ernst. Dann wird es dich auch später teilhaben lassen, weil es schön ist, dir etwas zu erzählen. Warte nicht darauf, dass es dir bestimmte Dinge erzählt (Schule, Kindergarten), sondern lerne es kennen – auch die Tatsache was es dir erzählt und wann es dir etwas erzählt, erzählt etwas.

LASS DEIN KIND UNPERFEKT SEIN, Fehler machen, lernen. Erzähl ihm von deinen Fehlern. Von deinem Wachstum. Lacht zusammen. Erfindet zusammen Lösungen. Haltet aus wenn etwas unveränderlich ist, trauert zusammen darüber.

HALTE AUS & SORGE FÜR DICH. Wenn du etwas anstrengend findest, sorge für dich und erwarte nicht von deinem Kind, dass es sich so verhält, dass es für dich einfach ist. Es ist nicht seine Aufgabe dir zu gefallen. Manchmal ist es hart für dich. Halte durch. Das wird wieder anders. Du bist erwachsen, du kannst (lernen) Bedürfnisse aufzuschieben.

VERSTEHE DEIN KIND. Was will es dir mit seinem Verhalten sagen? Wo steht es? Was passiert gerade in seinem Leben? Wie kannst du es unterstützen? Worauf reagiert es wie?

ERKENNE DIE KOOPERATION DEINES KINDES AN. Es ist ein Kind. Stimme deine Erwartungen auf die Fähigkeiten und die aktuelle Situation ab (Alter, Tagesform, Müde?). Prüfe in welcher Phase es steckt (Hilfreiche Stichworte: Autonomie. Selbstbestimmung. Ablösung. Abgrenzung). Denke darüber nach wann und warum gehorsam gefährlich ist. Prüfe welche Bedürfnisse bei dir offen sind, weshalb du dir jetzt gerade so sehr wünschst, dass es gehorcht. Prüfe wie voll du dir dein eigenes Lebens packst und warum eigentlich. Prüfe warum dir dein Kind nicht folgt. Ist es vielleicht keine gute Idee dir zu folgen? Prüfe ob du den Ausstieg aus der Kooperation vielleicht doch persönlich nehmen solltest, weil du aus der Beziehungsebene ausgestiegen bist?

MESSE ES AN SEINEN MAßSTÄBEN. Lass endlich das vergleichen sein. Schau doch mal uns Erwachsene an. Rein oberflächlich betrachtet: Körpergröße: zwischen 54,6 cm und 251 cm (Quelle: Wikipedia) ist alles dabei. Blond und kurz, brünette und lockig...Hosen, Röcke, Sportschuh oder High Heels...wen juckts?! Und dann sind wir alle so wunderbar verschieden: was wir denken, sagen, tun und auch wie wir es tun und wann und wo ...lasst uns doch endlich aufhören zu vergleichen. Lernen wir uns kennen, interessieren wir uns und feiern die Vielfalt. Was ein Fest!

FEIERE DEIN KIND. Sei sein größter Fan. Sei sein Hafen.

VERTRAUE DEINEM KIND. Vertraue deinem Kind.

DEIN KIND LERNT WAS DU TUST, NICHT WAS DU SAGST. Unsere Kinder übernehmen was wir leben, nicht was wir ihnen belehrend mitteilen. Also beobachte dich. Dein Kind tut es auch.

BEGLEITE ES IN SEINEN GEFÜHLEN. Wenn wir etwas schön finden, fühlen wir Freude. Wenn etwas anders ist als wir es gut finden, können wir das falsch finden, Wut fühlen und anfangen nach Lösungen zu suchen. Wenn etwas unveränderlich ist, können wir darüber traurig sein. Wenn etwas fremd für uns ist und wir ein warnendes Gefühl empfinden, fühlen wir Angst. Um zu lernen, dass all diese Gefühle hilfreiche Hinweise und wichtige Energien sind, braucht ein Kind Erwachsene die mit ihm alle Gefühle da sein lassen und ihm helfen diese einzuordnen. Wenn ein Kind wütend ist und die Eltern darüber wütend werden...wird es dieses Gefühl irgendwann unterdrücken und so um diese wunderbare Kraft beraubt. Dasselbe passiert, wenn wir einem Kind abgewöhnen zu weinen. Wenn wir selbst gut mit unseren Gefühlen in Kontakt sind, können wir den Gefühlsausdruck unseres Kindes gut aushalten. Dann wiederum können wir ihm helfen seine Gefühle zu regulieren und auf angemessene Weise auszudrücken – d.h. auch hier lernen Kinder entlang unseres Vorlebens...nicht entlang unserer belehrenden Worte.

ACHTE DIE GRENZEN DEINES KINDES. Dein Kind sagt nein? Dein Kind äußert seine Meinung? Seine Gedanken? Seine Gefühle? Es sagt nein zu dir? Will etwas anderes als du? Was macht das mit dir? Was fühlst du? Willst du, dass es anderen sagen kann was es denkt? Wenn es etwas nicht will?
Und ja. Im Leben eines kleinen Kindes geht es noch nicht um große Entscheidungen und Themen wie Politik, Finanzen, Heiraten, Berufe. Es geht um Jacken, Schuhe, Zähneputzen, Müsli und Süßigkeiten. Aber WIE (z.B. selbstständig und selbstbestimmt) es später einmal Entscheidungen treffen kann, das übt dein Kind heute. Mit dir. Und durch dich erfährt dein Kind, wie andere Menschen so reagieren, wenn es anderer Meinung ist. Flippst du aus? Drehst du durch? Respektierst du es? Ziehst du deins durch, Hauptsache konsequent? Findest du mit ihm gemeinsam eine Lösung? Hat es ein Donnerwetter zu erwarten und hat längst aufgehört mit dir zu verhandeln? Oder ist es im Dauerkampfmodus und sucht dich und noch echte Auseinandersetzung mit dir? Durchschaut es dich und erkennt dass du das eine sagst und das andere lebst? (Hinweis: ich kann es nicht wissen. Aber du. Da wo es piekst, liegt vielleicht eine unangenehme Wahrheit verborgen).

UNTERSTELLE DEINEM KIND GUTES. Wenn dein Kind nein zu dir oder zu irgendetwas im außen sagt – sagt es ja zu sich. Wenn dein Kind aus der Kooperation ausgestiegen ist, musste es evtl zu viel kooperieren und niemand hat das ausreichend wahrgenommen. Wenn dein Kind schreit, weint, wütet...will es dir etwas mitteilen. Nein. Das heißt nicht, dass wir ja sagen zu zerstörerischen und gewaltvollen Handlungen unserer Kinder. Aber wir anerkennen, dass wir wohl so einige, leisere Hinweise unserer Kinder übersehen haben, dass es auf diese Weise reagieren muss. Wir waren nicht ausreichend feinfühlig. Wir waren mit etwas anderem beschäftigt. Und dann? Was tun wir dann? Dann schauen wir endlich hin und dahinter. Was will mir mein Kind sagen? Welche Bedürfnisse sind offen? Und wenn wir endlich auf den dahinterliegenden guten Grund reagieren – wird das Kind von selbst aufhören können, mit diesen lauten Strategien für sich zu kommunizieren. (Hinweis: auch du hast es nie böse gemeint. Auch du hättest eher eine helfende Hand, als eine Konsequenz gebraucht. Davon bin ich überzeugt).

Uff. Langer Text. Aber wichtig. Finde ich.

Wenn dir einer oder mehrere Aspekte schwer fallen, weil du das selbst vielleicht so nicht erlebt hast, mach dich auf den Weg es zu lernen. Für dich. Aktiv. Denn deine Kindheit ist vorbei. Du bist heute erwachsen und selbst verantwortlich. Niemand wird dich retten und was offengeblieben ist, vervollständigen. Du kannst aufhören zu kämpfen, du musst dich nicht mehr anstrengen, anpassen und funktionieren. Aber du darfst dich selbst mit offenem Herzen annehmen. SO WIE DU BIST. Du darfst dich kennenlernen. Deinen gesunden Kern feiern. Mit Menschen sein, die dich um deiner Selbst willen gern haben und all die oben beschriebenen Aspekte in der Beziehung mit dir leben oder zumindest danach streben. Du darfst herausfinden, welche Wunden noch offen sind und an welchen Stellen du dadurch anderen oder dir selbst ungewollt Wunden zufügst. Denn was wir nicht heilen, geben wir weiter, durch die Art mit uns selbst und unseren Mitmenschen umzugehen. Wenn wir aber mit uns selbst gut in Kontakt sind, wissen wer wir sind, was wir gerade brauchen und selbst dafür sorgen - dann können wir mit unseren Kindern in echten Kontakt gehen, dann müssen sie nicht für uns sorgen, da sein, sich anpassen. Dann nehmen wir uns unseren Raum und lassen den Kindern ihren. Dann halten wir aus, dass sie anders sind als wir und auch anders als wir sie uns vielleicht vorgestellt haben und anders als wir sie manchmal vielleicht gerne hätten. Dann können wir sie in ihren Krisen und Stürmen gut begleiten. Dann holen sie Hilfe bei uns. Weil sie uns vertrauen. Dann sind wir hilfreiche Gesprächspartner und Menschen, denen sie gerne von sich erzählen. Dann sind wir saubere Spiegel, die den Kindern ihre Gefühle spiegeln, mit ihnen aushalten und regulieren, auch wenn deren Ausdruck mal heftig ist. Dann halten wir selbst den Stürmen stand, die unser Leben mit unseren Kindern so mit sich bringt. Nein, es geht nicht darum mit unseren Kindern „best friends“ zu sein und immer von ihnen gefeiert werden zu wollen. Es geht darum die Verantwortung für uns selbst und unsere Kinder zu übernehmen, damit unsere Kinder das nicht tun müssen – nicht für uns und unser Wohlbefinden und nicht für sich selbst. Das müssen sie erst viel später, so wie wir heute. Aber sie müssen es Schritt für Schritt üben können und bei uns eine Art erleben, wie das gehen kann. Dafür müssen wir allerdings aufhören die Verantwortung überallhin wegzuschieben – zu unseren eigenen Eltern, Kollegen, Chefs, den Partnern und anstrengenden Kindern. Und endlich mit uns selbst in Beziehung treten. Und wie kommen wir mit uns selbst in Kontakt? Wie nehmen wir uns selbst mit offenem Herzen an?

NEHME DICH WAHR UND AN WIE DU BIST.

SCHAU DICH AN.

SEI PRÄSENT, sei ganz für dich da.

INTERESSIERE DICH für dich. Wer bist du? Was ist dir wichtig? Lerne dich kennen.

HÖRE DIR ZU. Was sagst du? Mit deinen Gesten? Deinen Geschichten?

LASS DICH UNPERFEKT SEIN.

HALTE DICH AUS & SORGE FÜR DICH.

VERSTEHE DICH. Lerne was dich aktiviert & was dir gut tut.

ERKENNE DEINE LEISTUNGEN AN.

MESSE DICH AN DEINEN MAßSTÄBEN und hör auf dich zu vergleichen. Du bist einzigartig.

FEIERE DICH.

VERTRAUE DIR. Auch wenn du scheiterst. Auch damit wirst du klarkommen.

BEGLEITE DICH UND DEINE GEFÜHLE.

ACHTE DEINE GRENZEN.

UNTERSTELLE DIR GUTES. Du bist ein guter Mensch.

Hanna