Hilfe!

Hilfe annehmen ist für viele Menschen gar nicht so einfach. Und aktiv um Hilfe zu bitten scheint manchmal noch schwerer zu sein.

Neben all den persönlichen Gründen warum das für den ein oder anderen schwierig ist, sehe ich einen erschwerenden Faktor auch in der gesellschaftlichen Haltung zu Hilfe-Bedürftigen. Das wird natürlich so nie ausgesprochen… doch für mich hat es den Anschein Menschen sollen stark, vital, klar, gesund und freundlich sein. Eltern gelassen und geduldig. Kinder glücklich und erfolgreich. Alte Menschen niedlich, weise und dankbar. Kranke ansehnlich oder unsichtbar.

Schwäche, Krankheit und seelische Konflikte gelten gemeinhin als unattraktiv, als persönliches Scheitern. Wer ein Problem hat, hat etwas falsch gemacht, ist selbst schuld und soll schauen wie er oder sie damit klar kommt. Das wiederum führt meines Erachtens dazu, dass Menschen lieber so tun als bräuchten sie keine Hilfe. Oder sie verachten sich selbst für ihre Schwäche. Oder sie tun nach außen hin so als ob alles okay wäre und leiden im Stillen, oder nehmen es als gegeben hin, oder vermeiden Situationen, in denen sie mit ihren vermeintlichen Schwächen und Fehlern konfrontiert werden. Manchmal wird dadurch der Zustand unnötig lange aufrechterhalten, manchmal kommt Hilfe dann zu spät, was auch immer das im Einzelfall bedeutet. Krankheiten chronifizieren, Beziehungen zerbrechen, Kinder leiden, Menschen sterben. Ich nehme an jedem fällt mindestens ein Beispiel dazu ein.

Unser menschliches Leben ist kein gerader Weg, es gibt Höhen und Tiefen, Leichtigkeit und Schwere und Herausforderungen, die uns zum Wachsen einladen. Und ja, es gibt Menschen, die tatsächlich mit all den Widrigkeiten und Herausforderungen, die das Leben so mit sich bringt, souverän und mit Leichtigkeit umgehen. Sie sind so groß geworden oder haben es sich erarbeitet. Resilienz fällt mir als Begriff dazu ein. Das ist wunderbar, ich freue mich von Herzen mit dir, wenn du dein Leben mit allem was dazu gehört auf diese Weise bewältigst. Ich kenne nur sehr wenige Menschen dieser Sorte.

Für viele andere Menschen (z.B. mich) gibt es im Leben Situationen, die uns maximal herausfordern oder überfordern. Die weit außerhalb unserer Komfortzone liegen. Und wo wir nicht schnell genug selbst die Fähigkeiten entwickeln, die es aktuell bräuchte. Oder Situationen, die alte Themen und noch nicht aufgelöste Verletzungen berühren und eine Flut von Gefühlen über uns hereinbrechen lassen, so dass wir nicht mehr mit klarem Kopf eine Lösung für das aktuelle Thema erarbeiten können. Es fühlt sich dann viel größer an als es vielleicht ist. Oder Situationen, in denen du dir vornimmst auf eine bestimmte Art und Weise zu handeln, um dir dann dabei zuzusehen, wie du doch auf die alte Art und Weise reagierst.

In solchen Situationen wirkt es zusätzlich erschwerend, wenn wir uns selbst beschämen und beschuldigen. Oder wenn wir von unseren Mitmenschen, schlimmstenfalls von Helfern den Eindruck vermittelt bekommen, dass wir dieses Problem eigentlich nicht haben sollten. Dass wir böse, schlecht, versagend, schwach sind, wenn wir dieses Problem haben und es nicht selbst lösen können.

Welche brüllende Mutter öffnet und zeigt sich, wenn von vornherein klar ist, dass sie dafür verurteilt wird? Welcher Vater, der sich seinem dreijährigen wütenden Sohn gegenüber als machtlos empfindet, öffnet sich, wenn er den Eindruck vermittelt bekommt, er sollte halt ein bisschen klarer und konsequenter auftreten? Welcher trauernde Mensch öffnet und zeigt sich, dass Trauer so viel länger dauern kann als ein Jahr und so anders und vielfältig aussieht, wie wir Menschen selbst – wenn alle um ihn herum zu wissen scheinen, wie man richtig trauert und wann dann auch mal gut ist, das Leben muss schließlich weiter gehen. Welche Studierende öffnet und zeigt sich, dass sie mit dem Schreiben der Masterarbeit so weit über ihre seelischen Grenzen gehen musste, dass sie danach ohne jede Lebensfreude und Mut in ihr Berufsleben startet?

Und ja. Es liegt auch am einzelnen Menschen, wie viel er von diesen Meinungen und fremden Glaubenssätzen an sich heran und in sich herein lässt. Und doch wünsche ich mir eine Welt in der es selbstverständlich ist, dass ein Mensch wenn er überfordert ist oder ein Problem hat Zeit, Ruhe und Unterstützung erhält. Dass er dann mit sich selbstliebend statt selbstbeschämend umgehen darf. Solange wir alle so tun, als wären wir nie schwach, nie ratlos, nie zweifelnd, nie hässlich...solange wir unsere Schwächen und schweren Momente verbergen und so tun als gäbe es sie nicht, bleibt es ein Wunsch.

Um es selbst nicht beim Wünschen zu belassen, sondern etwas konkretes zu tun, haben wir die Räume gegründet. Das Fundament ist die Überzeugung, dass es menschlich, natürlich und normal ist Unterstützung zu brauchen und zu erhalten. Der Rohbau strahlt aus, dass nichts falsch am Hilfe-brauchen ist und du als Mensch völlig okay bist, egal welches Problem du gerade hast. Die hübsche Fassade haben wir weggelassen, so dass jeder jederzeit ungefährlich reinspickeln kann. Das schützende Dach ist das Zusammensein, die Vielfalt und das so-sein jedes einzelnen. Die Inneneinrichtung und was in den Räumen passiert gestaltest du mit – Welt entdecken, neues kennenlernen, Lösungen sammeln, aus Fehlern lernen, nächste Schritte planen.

Und du? Wo stehst du? Bist du schon ganz du oder tust du noch so als ob? Was denkst du über Menschen die Hilfe brauchen? Was denkst du über dich, wenn du Hilfe brauchst? Was fühlst du wenn du das hier liest?

Hanna