Die anderen und du I

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Es gibt Situationen, da sind wir überzeugt davon, dass die anderen schuld sind. An was auch immer. Und ja, das sind sie tatsächlich von Zeit zu Zeit. Menschen machen Fehler. Menschen schaden einander ab und zu. Doch auch dann liegt an dir selbst, wie du damit umgehst. Steht also tatsächlich Unrecht im Raum, hat jemand anders wirklich etwas getan, das schlimm für dich ist – dann...ja was dann? Dann hast du unzählige Reaktionsmöglichkeiten:

Du kannst verstehen.

Du kannst dich abgrenzen.

Du kannst verstehen UND dich abgrenzen.

Du kannst gehen.

Klar Nein dazu sagen.

Du kannst darüber hinwegsehen, weil du es einsortieren kannst.

Du kann darüber hinwegsehen, weil du dir bewusst bist, dass du selbst Fehler machst.

Du kannst klar für dich sprechen, dich positionieren und auf die Antwort warten – das ist Beziehung, Dialog, Auseinandersetzung.

...

Welche dieser Reaktionen du auswählst, entscheidest du. Da gibt es kein richtig oder falsch.

Welche Reaktion dir allerdings nicht zusteht: Du darfst einem anderen Menschen, weil dieser Mensch in deinen Augen einen Fehler gemacht hat, nicht weh tun. Nur in Fällen von Notwehr bist du durch den Fehler eines anderen berechtigt ihm weh zu tun. Sonst nie. In der Begleitung von Kindern, beobachte ich das allerdings sehr oft: sie oder mindestens ihre Würde wird verletzt, weil sie aus Sicht der Erwachsenen etwas falsch gemacht haben. So lernen sie nicht, dass sie einen Fehler gemacht haben – so lernen sie, dass man anderen weh tun darf, wenn diese einen Fehler machen. Ich plädiere dringend dafür diesen Kreislauf zu durchbrechen. Was du dann tun sollst, wenn dein Kind etwas falsch macht? Siehe oben.

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Und dann gibt es Situationen in denen Menschen etwas für Unrecht halten, das gar kein Unrecht ist, das sich für sie aber so anfühlt. Ein paar Beispiele:

Ein Mensch der Nein zu dir sagt, spricht für sich – nicht gegen dich. Nein heißt nein. Lerne damit umzugehen.

Ein Mensch der eine andere Sicht auf die Dinge hat, sieht die Dinge eben anders. Nicht falsch. Sollte er mit dieser Sicht und den daraus resultierenden Handlungen anderen jedoch Schaden zufügen: siehe Punkt 1.

Ein Mensch tut etwas, dass sich aus deiner bisherigen Geschichte heraus bedrohlich anfühlt. Das ist tricky. Weil in dieser Situation keiner etwas „dafür“ kann. Lernen können allerdings beide aus der Situation und voneinander. Wunderbar, oder?

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Und dann gibt es noch Situationen, in denen Menschen anstatt selbst die Verantwortung zu übernehmen, lieber mit dem Finger auf andere zeigen, obwohl sie selbst soviel bewirken könnten:

„Wenn du nicht...dann wäre alles besser."

„Wenn du endlich...dann wäre alles leichter."

„Wenn die, wenn der, wenn das Kind…"

„Ich würde ja...aber du…"

„Wenn meine Eltern nicht…"

Dieses Verhalten ist nicht besonders schädlich, aber sehr schade. So lebst du nicht DEIN Leben, es wird sich nichts ändern und du wirst die Runden eben solange fahren, bis du das tust, was du von den anderen erwartest.

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Und dann...ja dann gibt es noch die Situationen, in denen schreckliche Dinge so üblich sind, dass Menschen es gar nicht mehr als Unrecht erkennen. Ist doch normal, macht doch jeder. Und wer es anders sieht, gilt als besonders zart besaitet. Ich meine zum Beispiel:

  • Die Abwertung anderer Menschen aufgrund von irgendetwas das anders ist in ihrem als in deinem Leben...von den Gedanken, über das Aussehen, die Religion, das Geschlecht, die Herkunft, das Alter, den Gesundheitszustand, die Liebe, den Status, die Entscheidungen...Mit Abwertung meine ich so scheinbar alltägliche Handlungen wie sich lustig machen, ausgrenzen, sich selbst aufwerten. Hilfreich kann hier sein, sich seiner Privilegien bewusst zu werden und für die einzustehen, die diese nicht haben.

  • Der immer noch oft würdelose Umgang mit allen, die darauf angewiesen sind, dass wir ihnen ihre Rechte wirklich zugestehen, weil sie selbst nicht dafür kämpfen können.

  • Gewalt die nicht als solche erkannt wird. Manipulation. Einflussnahme. Psychische Gewalt.

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Und dann gibt es da auch noch dich. Auch du machst Fehler. Auch du schadest anderen. Manchmal sehen das nur die anderen so. Manchmal ist das ganz objektiv betrachtet real. Manchmal aus Versehen. Manchmal mit Absicht. Im besten Fall versuchen wir das und den Schaden so gering und selten wie möglich zu halten. Manchmal merken wir es selbst gar nicht - dann sollten wir auf die Hinweise von außen achten, sie ernst nehmen und prüfen. Sollte was dran sein...mach dich auf den Weg. Und für den Fall dass du anderen massiv Schaden zufügst und denkst du kannst gar nicht anders (weil sie das und das gemacht haben, oder weil deine Eltern das und das gemacht haben und du jetzt eben so bist)...dann lies nochmal Punkt 1,2,3,4. Und ja, du kannst vermutlich nichts dafür, dass du diese Muster entwickelt hast, irgendwann mal waren diese Verhaltensweisen hilfreich und sinnvoll. Aber wenn du heute anderen damit schaden zufügst, darfst du sie nicht so lassen. Und ja, wenn sich solche Muster erst einmal tief in unserem Verhalten verankert haben, ist es nicht einfach diese zu verändern. Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Und die Verantwortung liegt bei dir.

Puh. Schwere Kost. Hier keine erleichternden Schlussworte. Das geht schon mal. Einfach mal wirken lassen und in deinem Leben überprüfen.

Hanna